Das Steildach – antiquierte Tradition oder historisch begründetes Architekturmotiv

Steildach

Vom Bild des archetypischen Urhauses ist das Steildach bis heute nicht wegzudenken – deutlich erkennbar wird dies auf Kinderzeichnungen, in denen das Haus neben Fenstern und Türen in der Regel mit einem spitzen Dach gezeichnet wird.

Bis ins 20. Jahrhundert war das Steildach aus rein praktischen Erwägungen – geringere Einsturzgefahr, bessere Abführung anfallenden Regens und erhebliche statische Vorteile – zumindest konstruktiv – ohne ernsthafte Konkurrenz.

Spätestens seit Beginn der klassischen Moderne in den 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde jedoch diskutiert, welche Dachform – das Steildach oder das Flachdach – die schönere, elegantere, und zeitgemäßere sei. Ausgangspunkt dafür war die bessere technische Machbarkeit von Flachdächern unter Verwendung der Materialien Beton und Stahl.

Während bis heute in breiten Bevölkerungsschichten das Steildach weiterhin bevorzugt wird, wird in weiten Architektenkreisen seitdem das Flachdach als signifikantes Merkmal einer zeitgemäßen reduzierten Architektursprache favorisiert.

Dabei wird dies wenig hinterfragt, obwohl viele Denksansätze der klassischen Moderne – zum Beispiel der städtebauliche Ansatz zur Errichtung von Trabantenstädten – sich heute als durchaus problematisch erwiesen haben. Bei genauerer Betrachtung lässt sich außerdem feststellen, dass auch Architekten, die der klassischen Moderne zugeschrieben werden, hier wenig Berührungsängste hatten. So hat beispielsweise einer der renommiertesten Protagonisten dieser Bewegung – Frank Lloyd Wright – eine große Anzahl wunderschöner Häuser mit Schrägdächern errichtet.

Für den Autor stellen sich in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen – Fragen, über die zumindest eine Diskussion sinnvoll und wichtig erscheint:

Warum zieht ein Großteil der Architektenschaft heute das Flachdach dem Steildach vor, obwohl dieses zunächst deutlich naheliegender die notwendigen Anforderungen der Abführung von Feuchtigkeit und der Statik erfüllt – darüber hinaus aus bauphysikalischer und Nachhaltigkeitssicht Sicht im Vergleich zum Flachdach aus Stahlbeton erhebliche Vorteile bietet?

Warum fehlt es gerade im innerstädtischen Kontext – hier ist Münster ein gutes Beispiel – wo die umgebende Bebauung im Sinne eines harmonischen Kontextes oftmals nahezu nach der Verwendung eines Steildaches schreit, häufig an Mut und Kreativität, den deutlich sichtbaren städtebaulichen Vorgaben zu folgen oder sich überhaupt mit dem Steildach als ernsthafte zu bauende Option auseinanderzusetzen?

Kann die klassische Moderne – die sicherlich eine Vielzahl an interessanten Denkansätzen geliefert hat – der einzige Ideenfundus für die Planung schöner Häuser sein? Haben andere Epochen nicht ebenfalls wunderschöne Häuser hervorgebracht? Warum leben heute die meisten Menschen am liebsten in Häusern, die um die Jahrhundertwende errichtet wurden – überwiegend unter Verwendung von Steildächern?

Leider hat ein nicht unerheblicher Teil der zur Zeit tätigen Architektenschaft sich im Rahmen seiner Ausbildung und bisherigen Tätigkeit kaum bis gar nicht mit dem Thema Steildach auseinandergesetzt. Hinzu kommt die Tatsache, dass ein Flachdach zunächst einfacher in der Planung ist (wenn auch deutlich sanierungsanfälliger – insbesondere wenn günstige Konstruktions- und Abdichtungsformen verwendet werden). Anders sind die erheblichen Berührungsängste kaum zu erklären – mit der Folge, dass auch in städtebaulich sehr sensiblen Bereichen Flachdachbauten entstehen, die mit dem architektonischen Kontext nicht in Resonanz treten und diesen in keiner Form im Hinblick auf eine harmonischen Einheit weiter schreiben.

Im Sinne einer humanistischen Architektur, die im städtebaulichen Kontext das Weiterbauen und Stärken des bestehenden städtischen Ensembles für sehr wichtig erachtet, wäre hier zwingend ein Umdenken notwendig: Weg von einem intellektuell nicht allzu anspruchsvollen alternativlosen Durchsetzen von Flachdächern auch in durch Steildächern geprägten Bereichen – hin zu mehr Offenheit gegenüber historisch begründeten Dachformen.

In Münster scheint diese Offenheit vor 20 Jahren durchaus größer gewesen zu sein als heute,  denn das Steildach als ortstypische Dachform wird durch die Altstadtsatzung von 10.11.1998  verbindlich vorgeschrieben. Dieses scheint dem Autor auch heute sehr sinnvoll und geboten – wichtig ist in der Folge jedoch, dass diese Vorgaben dann auch im aktuellen Baugeschehen Berücksichtigung finden, was insbesondere in jüngerer Vergangenheit oftmals nicht der Fall war.

Abschließend kann gesagt werden, dass jede Dachform dort zum Einsatz kommen sollte, wo dieses nach gewissenhafter und sensibler Abwägung sinnvoll und gestalterisch passend ist. Die Betonung sollte dabei jedoch auf  „Abwägung“ liegen – im entschiedenen Gegensatz zu einseitig gewichteten oberflächlichen Entscheidungen ohne Untersuchung von möglicherweise sinnvolleren Alternativen.

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